Hütten aus Bunkeranlage
Menschenbilder
LEISESPUREN:
Nur noch ein paar Meter. Schon seit etwa 45 Minuten habe ich den Gipfel im Blick. Auf dem Marchginggele stehen Leute. Sie schauen und winken. Noch ein paar Schweißtropfen, wenige Schritte und tiefe Atemzüge. Geschafft. Einen Traumtag im Osttiroler Villgratental habe ich erwischt. Kaum Wolken, dafür Sonne satt und ein laues Lüftchen. Der Aufstieg aus Innervillgraten ist zwar schweißtreibend bei diesen Temperaturen, aber die erste Stunde geht es durch schattigen Wald. Erst kurz vor der Oberhoferalm lichten sich die Baumreihen. Freies Gelände. Von weitem glänzte schon das Gipfelkreuz. Jetzt stehe ich daneben und kann schauen. „Eigentlich könnte man das Marchginggele auch Marchguckele nennen“, denke ich. Im Süden leuchten die Dolomiten. Zwölfer,...
Blick von Marchehütte Richtung Süden
Aussicht mit mehr als drei Sternchen
Paternkofel, die „Drei Zinnen“ und deutlich mehr Zacken. Im Norden streifen die Augen sanft über die Gipfel des Defereggentals, im Osten die Villgrater Berge und im Osten die Lienzer Dolomiten… schön, atemberaubend schön. Aber ich bin nicht nur der Aussicht wegen da. Denn erst seit kurzem gibt es hier oben an der Grenze zu Italien etwas altes Neues, oder etwas neues Altes zu bestaunen. Die Marchhütte. Andreas und Albin Innerhofer sind die „Macher“ für fast alles. Ideengeber, Köche, Gastwirte, Herbergsväter, Servicekräfte, Putzkolonne, Ratgeber, Tourenbeschreiber, Geschichte- und Geschichtenerzähler.
Gipfel und Grenze in Reichweite
Die Häuser stehen auf historisch interessantem Gebiet. Die Grenze zwischen Italien und Österreich liegt keine 20 Meter von dem Gebäudekomplex entfernt. In den 1940er Jahre beschließt der faschistische Diktator Benito Mussolini die Grenze zu Nazi-Deutschland zu befestigen. Bis heute stehen die Bunkeranlagen in der Berglandschaft. Angefressen von Wind und Wetter. Andreas Innerhofer sitzt vor der Marchhütte und blinzelt in die Sonne.
Wo früher Soldaten schliefen und stramm gestanden sind, kann der Bergwanderer und Mountainbiker heute schlummern und schlemmen. Die Idee zu einer Berghütte hatten die Innerhofer-Brüder Andreas und Albin schon vor Jahren. Anderswo in Südtirol hakt es - die liebe Bürokratie. Doch dann entdecken sie die militärischen Hinterlassenschaften unterhalb des Marchginggele. Die oder keine. „Das war ein lang gehegter Traum“, erzählt Andreas. „Als er wahr zu werden schien, mussten wir uns noch einmal einen Ruck geben.“
Mit dem Mut des Machbaren gingen sie die Marchhütte an. Als studierter Architekt hat Andreas nun noch mehr zu tun. Er vermisst, schaut, berechnet, zeichnet, werkelt, muss sich mit der vorgegebenen baulichen Situation arrangieren. „Das war eine Auflage der Behörden. Zu viel Veränderung war und ist nicht erwünscht.“ Monatelang tüfteln die Innerhofers. Probieren aus, verwerfen Pläne, schmieden neue und freuen sich über ihre Aufgabe. Andreas lächelt.
„Auf jeden Fall ist diese Arbeit erfüllender als im Büro zu sitzen. Sie macht zufriedener.“
Dann streift der großgewachsene Mann seine blaue Schürze über, geht in die kleine Küche und fängt zu bruzzeln an. Einige Wanderer sind da und haben Appetit. „Kochen macht Spaß“, sagt der Südtiroler. „Ob es eine Berufung ist, weiß ich nicht.“
Schlafen in kleinen Einheiten
Ein Blick ins Haus verrät: Die Innerhofers haben gut nachgedacht. Im kleinen Speiseraum im Erdgeschoss stehen einige kleine Tische. Hübsch mit rot-weiß karierten Tischtüchern bedeckt. Am Ende des eher lang gestreckten Raumes „ächzt“ eine schwere Stahltür. Direkt dahinter geht es in die erste Etage. Dorthin, wo sich ein weiterer Speise- oder Aufenthaltsraum und einige der Zimmer befinden.
„Noch sind nicht alle Räume fertig“, schmunzelt Innerhofer. Ziel ist, insgesamt 40 Betten anzubieten. Nicht in Massenlagern, eher in kleinen Einheiten. Vier bis sechs mit Dusche und WC.
„Wir sind froh, dass wir uns auf diesen Komfort verständigt haben. Das ist quasi unser bestes Lockmittel.“
Denn weltberühmte und steingewordene Monumente wie die „Drei Zinnen“ in den Dolomiten gibt es hier nicht. „Dafür ist es am Marchginggele wesentlich ruhiger, nicht überlaufen und vielleicht auch deutlich günstiger. Etwa 50 Euro zahlt, wer in der Marchhütte incl. Halbpension nächtigen will. Ob Übernachtungen irgendwann auch im Winter möglich sein werden, ist noch nicht gewiss. „Sinnvoll wäre es“, sagt Andreas Innerhofer. „Die ganze Gegend rund um das Villgratental ist ein tolles und stilles Skitourengebiet.“ Allerdings gibt es ein Problem. In dieser Höhe gibt es nicht genügend Wasser. Aber die Brüder arbeiten daran. Bis Oktober hat die Marchhütte auf jeden Fall jedes Jahr geöffnet. Für Wanderer, Pilger und Mountainbiker. Wenn das Wetter mitspielt können sie in einem der Liegestühle Platz nehmen und schauen. In die Welt der Gipfel, Grate und Genüsse.
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